Der Mauerfall vor 34 Jahren hat auch mein Leben beeinflusst. Ich war jetzt frei und jung genug, meine Zukunft selbst zu gestalten: Hinziehen, wohin ich wollte, werden, was ich wollte. In der DDR wäre das alles nicht möglich gewesen. Dafür bin ich dankbar. Dankbarkeit und Erleichterung sind aber nur ein Teil der Gefühle, die ich im Zusammenhang mit dem Mauerfall und der Wiedervereinigung habe. Ich finde es schade, dass wir keinen gemeinsamen Weg gefunden haben, die Wiedervereinigung für alle zum Erfolg zu machen. Die schnellen Antworten aus der Politik, warum der Osten so oder so wählt, nerven einfach nur. Das Gerede über die Bevölkerung Ostdeutschlands, geprägt von Stereotypen, macht mich als Politikerin mit Wurzeln im Osten wütend. Wer den Bericht 2022 des Ostbeauftragten der Bundesregierung liest, findet Aufgaben, die die Politik endlich bewältigen muss: Noch immer sind die Einkommen im Osten deutlich niedriger als im Westen und die Menschen dort haben weniger Rücklagen und Vermögen. Das macht Angst vor Preissteigerungen und Veränderung. Der Wegzug der Jungen aus den strukturschwachen Regionen hat einen Arbeits- und Fachkräftemangel zur Folge, der größer ist als der im Westen. Mit allen Auswirkungen, die das hat. Das Erstarken der AfD wird den Einwanderungswillen dorthin negativ beeinflussen, was das Wachstums in den Ostländern weiter bremst. Obwohl Ostdeutsche 17 % der Bevölkerung ausmachen, sind nur 3,5 % der bundesweiten Führungspositionen von Ostdeutschen besetzt. Eine Zahl, die auf ein Gefühl der Benachteiligung einzahlt. Wenn aus Ost und West eins werden soll, müssen wir die Gefühle der Menschen ernst nehmen, die Wende aufarbeiten und uns endlich mit den Lebensrealitäten im Osten beschäftigen. Dass es einen Untersuchungsausschuss zur Treuhand in Thüringen gibt, finde ich deshalb ausdrücklich richtig. Denn Legendenbildung kann man nur durch Wissen begegnen. Ausreden wie „Der Osten ist kein Sonderfall, es gibt auch im Westen strukturschwache Regionen“, „Veränderungen treffen uns alle“ oder „Nach 30 Jahren muss auch mal Schluss sein mit den Wendeschmerzen“ sind genau das: Ausreden! Gegen Spaltung und extreme Wahlergebnisse hilft nur eins: extrem gute Politik. Der Bericht des Ostbeauftragten hat zwar die neuen Bundesländer im Blick. Er gibt aber auch Erklärungen für Entwicklungen, die sich in ländlichen Regionen im Westen gerade in ähnlicher Weise vollziehen. Deshalb verlinke ich ihn unter dem Beitrag. Mich würde Eure Sicht auf das Thema interessieren. Was denkt Ihr? Ist uns die Wende geglückt? Und wie seht Ihr den Osten? Ich freue mich auf Kommentare.

Bericht des Ostbeauftragten | Bundesregierung

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